Adventsbrief 2020

Liebe Vereinsmitglieder und Freunde von al hayat e.V.,

ein bewegtes Jahr liegt hinter uns. Ereignisse, die uns persönlich wie auch kollektiv betreffen, haben Spuren hinterlassen. Gemeinsam mit Ihnen will ich mit diesen Zeilen einen Blick darauf werfen, wie sich diese auf Baytouna al Jadid, die libanesische Einrichtung, die wir mit Ihrer Hilfe seit mehr als 20 Jahren finanziell und moralisch unterstützen, ausgewirkt haben.

Ich schrieb im letzten Adventsbrief von der politisch-finanziellen Krise, in der sich der Libanon seit über einem Jahr befand. Politischer Protest in den Straßen Beiruts, der im vergangenen Herbst Tausende Libanesen zusammenbrachte, die sich gegen ein System stellten, das sich durch Korruption, Vetternwirtschaft, fehlende politische Teilhabe außerhalb der religiös vorgegebenen Regierungsparteien auszeichnet, ging einher mit der Hoffnung, dass sich endlich etwas ändern würde. Ein Jahr später zeigt sich, dass diese Hoffnung nicht erfüllt wurde.

Im Gegenteil: denn die Lage hat sich weiter zugespitzt und es sieht nicht danach aus, dass sich zeitnah etwas ändert. Nach wie vor können Libanesen nicht mehr als umgerechnet 500 Dollar monatlich abheben und auch dies nur scheibchenweise, nach stundenlangem Anstehen am Bankautomaten. Die Kosten für das alltägliche Leben sind immens gestiegen, da die libanesische Währung immer weniger wert ist. Armut breitet sich aus und Libanesen und Libanesinnen, die es sich leisten können, verlassen das Land in Richtung Kanada, Frankreich oder in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Als wäre dies nicht schlimm genug, erlebte das kleine Land dieses Jahr einen weiteren Schlag: am 4. August 2020 kam es im Hafen von Beirut zu einer Explosion, ausgelöst durch dort gelagertes Ammoniumnitrat, die mehrere Hunderte Tote, Tausende Verletzte und mehr als 300.000 Obdachlose zur Folge hatte. Und wieder waren es politisch-wirtschaftliche Fehlentscheidungen, die menschliches Leid verursacht hatten.

Von außen betrachtet, kann man immer wieder nur staunen, welche Resilienz die libanesische Bevölkerung in solchen Momenten beweist. Neben internationaler Solidarität waren es vor allen Dingen Akteure der libanesischen Zivilgesellschaft, die bei den Aufräumarbeiten halfen und sofort zur Stelle waren.

Wenn ich mit Charbel Sfeir, dem Leiter und Gründer der Einrichtung Baytouna al Jadid spreche, ist das Entsetzen, Monate danach, noch zu spüren. Die Tatsache, dass man sich nicht auf den Staat verlassen kann und in Krisenzeiten auf sich und seine nächsten Angehörigen oder die Nachbarschaft gestellt ist, prägt die libanesische Gesellschaft. Was bedeutet dies für eine kleine Einrichtung wie Baytouna al Jadid, in der 22 Menschen mit Behinderungen leben, die in der Mehrzahl keinen anderen Ort der Zuflucht haben? „Es gibt Momente, da mache ich mir Sorgen,“ so Charbel, „und frage mich, wie es weitergehen soll.“ 2020 jährt sich die Gründung der Einrichtung zum zwanzigsten Mal. Ich kann mich noch gut an meine erste Reise in den Libanon erinnern, es war im Jahr 2000, kurz bevor Charbel Sfeir die Einrichtung mit einer kleinen Zahl von Menschen mit Behinderungen, die man an einer Hand abzählen konnte, eröffnete…

Baytouna al Jadid hat sich über all die Jahre, seinen familiär-kommunitären Charakter bewahrt. Dass gelebte Gemeinschaft und Spiritualität, und staatliche Anerkennung als Sozialeinrichtung sich nicht widersprechen müssen, hat sich nach langem Warten auf Unterstützung gezeigt. Doch die Freude über staatliche Förderung hielt nicht lange an und heute müssen Mitarbeiter, die zuvor 800 Dollar Gehalt bekamen, erneut mit 150 Dollar leben. Eine Summe, mit der faktisch kein Auskommen möglich ist.

Die Einrichtung profitiert von dem Bestand eines Teams, das, wenn auch immer wieder von Krisen geschüttelt, seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Die Sri Lankerin   Rahmi ist bereits seit 13 Jahren dabei. Der Ausbruch der COVID-19 Pandemie hat auch im Libanon dazu geführt, dass strengere Hygieneauflagen für soziale Einrichtungen gelten. Kurzzeitig musste Baytouna al Jadid schließen, was aber immer nur bedingt möglich ist, da nicht alle Bewohner Familien haben, die sie aufsuchen können. Inzwischen sind alle zurück und nur 5 Bewohner verbleiben in ihren Familien und kommen tagsüber in die Werkstatt. Das gesamte Gebäude wurde desinfiziert und es wird kontrolliert, wer die Einrichtung betritt. Bisher ist niemand an COVID-19 erkrankt und wir hoffen, dass dies so bleibt.

Die Pandemie hat nicht nur einen Einfluss auf die Einrichtung und ihr sozio-ökonomisches Umfeld gehabt, sondern auch uns als Verein in Deutschland getroffen. Erstmalig fand unsere jährliche Vollversammlung digital statt und mussten wir ein Treffen auf das nächste Jahr verschieben. 2020 nahm der Verein 12.309 Euro ein und die administrativen Kosten beliefen sich auf weniger als 1% der Gesamtkosten. Durch Privatspenden und organisierte Spendenaktionen, konnten wir die übliche Höhe unseres Beitrags zum Erhalt der Einrichtung aufrechterhalten.

Im Namen von al hayat e.V. bedanke ich mich von Herzen für Ihr Engagement und Ihre kontinuierliche Unterstützung und wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtszeit.

Es grüßt Sie herzlich,

Heide Rieder (Schriftführerin)

Heide Rieder